Blind in Koblenz

B0104 Blinde Autorin, 12.12.2018 14:00:58 – Benutzer: simonn – PROOF

Blind in Koblenz: Sylvia Lenz veröffentlicht Biografie

Schwieriges Leben in der Stadt – Enttäuscht von der katholischen Kirche

Von unserer Mitarbeiterin Katharina Demleitner

M Koblenz. Sylvia Lenz ist blind. „Na und!“, fügt die Koblenzerin im Titel ihres gerade erschienenen Buches „Glaube, Gaumenfreuden und Musik“ hinzu – mit Ausrufe-zeichen: Unterkriegen lässt sich die gebürtige Saarburgerin weder von ihrer Beeinträchtigung noch von Rückschlägen. Im RZ-Gespräch schildert die Autorin ihre Erfahrun-gen und was ihr das Leben in Ko-blenz schwer macht.

Sylvia Lenz sitzt am Esstisch im fünften Stock eines Koblenzer Hochhauses. In einer Ecke steht ein Computer. Er ist ihr Arbeitswerk-zeug, aber auch der Draht nach draußen. Noch nie hat die 49-Jähri-

„Ich will anderen Blinden Mut machen und Selbstver-trauen stärken.“

Autorin Sylvia Lenz erklärt ihre Motivation, ein Buch über ihre Erfahrungen zu schreiben.

ge etwas gesehen. In der Schwan-

gerschaft infizierte sich ihre Mutter

mit Toxoplasmose, einer Krankheit,

die vor allem Katzen übertragen:

Sylvia kam blind zur Welt. Mit zwei

Geschwistern wuchs sie in einem

Dorf mit 14 Häusern in der Nähe von

Saarburg „zum Glück relativ nor-

mal“ auf: „Meine Eltern haben mich

nicht total überbehütet, ich bin Roll-

und Schlittschuh gefahren, habe am

Leben teilgenommen“, erinnert sich

die Frau mit dem Kurzhaarschnitt.

Doch schon im Kindergarten

stieß sie auf Ablehnung, die Leiterin

wollte das blinde Mädchen nicht
Sylvia Lenz ist blind und Buchautorin: Die Koblenzerin hat in ihrer Biografie über ihr Leben mit dem Handicap ge-

aufnehmen, Erzieherinnen waren

überfordert. „Das hat mich sehr ge-
schrieben.
Foto: Katharina Demleitner

prägt“, sagt sie. Eingeschult wurde sie in das rund 170 Kilometer ent-fernte Internat der Landesblinden-schule Neuwied. Die Trennung fiel schwer, obwohl die Eltern ihr Kind statt im erlaubten 14-tägigen Rhythmus jedes Wochenende nach Hause holten. „Auch dort bin ich von einigen Lehrern kleingemacht worden“, berichtet Lenz.

Dass sie etwas erreichen kann, bewies die Jugendliche, als sie nach dem Hauptschulabschluss nach Marburg in eine eigene Wohnung zog und sich als erste blinde Prakti-kantin erfolgreich durch ein Jahr in einem Seniorenheim kämpfte. Lenz machte das Fachabitur, studierte katholische Theologie: „Ich bin ak-tiv katholisch aufgewachsen, war immer sehr gläubig und habe als Jugendliche und später an der Uni Gruppen begleitet und Gottes-dienste mitorganisiert.“ Um so grö-ßer die Enttäuschung, als das Bis-tum Trier ihre Bewerbung nach dem Diplom abwies – weil sie blind ist. „Darunter habe ich sehr lange ge-litten, ich hatte keine Chance, mich zu beweisen“, sagt sie noch immer verbittert.

Die junge Frau musste weitere berufliche Rückschläge verkraften. Doch erst, als sie ihr Partner, mit dem sie in der Eifel eine Firma für Blindenhilfsmittel gegründet hat, sitzen lässt, „geht gar nichts mehr“. Hilfe bieten eine Therapie – und der Glaube. Der Kontakt zur Koblenzer Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage führt Lenz 2013 in die Rhein-Mosel-Stadt. „Es ist schön hier, aber für Blinde auch sehr schwer“, erklärt sie. Am meisten fehlen ihr Bodenleitsyste-me, um sich mit dem Blindenstock orientieren zu können. „Hier gibt es zwar zum Teil Aufmerksamkeits-felder, aber man weiß nicht genau, warum die Standorte ausgewählt wurden“, kritisiert sie.

Zu schaffen machen ihr auch die vielen Werbeschilder und Ständer in der Innenstadt: „Da steht immer mehr rum, das ist sehr anstren-gend.“ Gleiches gilt für Baustellen. Eingerüstete Häuser zwingen die

Fußgängerin auf die Straße – ein gefährliches Unterfangen. Allein geht Lenz kaum noch in die Stadt, auch beim Einkaufen braucht sie Hilfe. Eingeübt hat sie ihre Wege mit ausgebildeten Mobilitätstrai-nern, „aber die zugestandenen Stunden werden immer weniger, und es kann sich ja jederzeit etwas ändern“, erklärt Lenz.

Wichtigstes Hilfsmittel ist neben einem Strichcode-Leser für den Su-permarkt ihr Smartphone, das sie ebenso wie den PC mit Sprachsteu-erung bedient. An den Computer kann die Autorin zusätzlich eine Braillezeile, ein Display in Punkt-schrift, anschließen und so den Bildschirm auslesen. Knapp zwei Jahre hat sie so an ihrem Buch ge-

„In Koblenz gibt es sehr viele hilfsbereite Menschen, die fragen, ob sie helfen können.“

Die blinde Sylvia Lenz kann es jedoch nicht leiden, wenn sie jemand wortlos am Arm packt oder einfach den Blindenstock hoch-hebt, um ihr den Weg zu weisen

schrieben, animiert vom Bruder und um der Untätigkeit zu entkommen. „Ich habe einfach angefangen, dann ein Konzept erstellt, und jetzt sind die 92 Seiten tatsächlich er-schienen“, sagt Lenz, die Lesungen anbietet und mit Besuchen in Kitas und Schulen, Einrichtungen und Unternehmen zur inklusiven Be-wusstseinsbildung beitragen will. „Schade, dass es in Koblenz keinen Behindertenbeirat gibt, ich würde mich gern einbringen“, meint die Autorin.

ZDas Buch „Glaube,Gaumen-freuden und Musik. Ich bin blind

– na und!“ ist im Selbstverlag R.G. Fi-scher erschienen und broschiert für 9,90 Euro in jeder Buchhandlung zu bestellen. Als E-Book kostet der Band 7,99 Euro. Näher Infos zu dem Buch und den weiteren Angeboten von Sylvia Lenz gibt es unter www.sylvialenz.de